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Interview mit Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw

Warum habt ihr euch dafür entschieden, den weniger gefährdeten Ort in den Karpaten zu verlassen und nach Lwiw zurückzukehren?

Momentan gibt es keine sicheren Orte in der Ukraine. Sogar kleine Dörfer werden angegriffen. Aber es stimmt, ukrainische Großstädte wie Lwiw werden von Russland fast täglich bombardiert. Sie schicken uns „Sträuße“ aus Raketen, die töten und zerstören. Natürlich sind wir uns der Gefahr bewusst, aber in diesen unbehaglichen Zeiten fühlen wir uns in unserer Stadt, unserem Zuhause, unserem Studio und unserer Community wohler. Hier pulsiert das Leben, man läuft durch diese Stadt und versteht, dass sie Hunderte von Jahre und viele Kriege überstanden hat. Und man hofft inständig, dass sie diesen Krieg auch übersteht. Unsere Stadt ist für uns ein Ort der Kraft.

Wie können wir uns euren Alltag in Lwiw vorstellen?

Man gewöhnt sich nicht an den Krieg, aber man kann irgendwie versuchen, einen Platz in diesem Chaos zu finden. Das probieren wir gerade – unseren Platz und unseren neuen Rhythmus in diesem Krieg zu finden. Das Erste nach dem Aufstehen und das Letzte vor dem Einschlafen ist das Checken von Nachrichten. Wir schreiben Dutzende E-Mails, stehen mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt, beantworten Interviewanfragen und sprechen über Zoom. Jetzt versuchen wir, in unsere Arbeit zurückzufinden und uns wieder mit dem Büchermachen zu beschäftigen. Wenn wir die Sirenenalarm hören, suchen wir Schutz und warten. Es kann ein paar Stunden oder 10 Minuten andauern, man weiß es nie. Das letzte Mal waren die Explosionen sehr nah und es kam zu Stromausfällen, aber glücklicherweise wurde diesmal niemand verletzt und der Strom war nach wenigen Stunden wieder da. Während wir auf das Ende des Alarms warten, lesen oder zeichnen wir oder wir unterhalten uns mit Freunden, die mit uns in den Luftschutzbunkern ausharren.

Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw beim Renovieren

Wir brauchen auch dringend körperliche Aktivität, die uns einen Energieschub gibt. Deswegen machen wir mit der Renovierung unserer Wohnung weiter. Für uns ist das ein sehr gutes Symbol – wir bauen und restaurieren etwas, während Russland alles zerstört. Außerdem gibt uns diese Arbeit das Gefühl, etwas unter Kontrolle zu haben, denn das andauernde Gefühl der Hilflosigkeit, wenn es darum geht, diesen Horror zu stoppen, belastet uns sehr.

Hat sich euer Kampf für die Ukraine in den letzten Wochen verändert?

Ja, er hat sich in vielerlei Hinsicht verändert, für das ukrainische Militär und die Zivilbevölkerung. Wir haben alle verstanden, dass dieser Krieg wie ein Marathon ist, dass er anstrengend ist und einige Zeit dauern wird, länger als wir es uns wünschen. Wir müssen also Ausdauer und Durchhaltevermögen aufbringen und Kraft sammeln. Außerdem müssen wir doppelt so hart arbeiten wie zuvor, denn es gibt vieles zu erledigen. Mittlerweile ist es aber weniger chaotisch als zu Beginn, denn die Menschen verstehen ihre Verantwortlichkeiten nun besser. Und es gibt viele neue Netzwerke in den unterschiedlichen Communities.

Welche Rolle kann Kunst in diesem Krieg spielen?

Kunst spielt in diesem Krieg eine sehr wichtige Rolle. Sie hält die Momente und die Emotionen fest, denn manchmal reichen Worte einfach nicht aus, um sich auszudrücken. Außerdem „übersetzt“ Kunst all die Bedeutungen und Gefühle in Bilder, die Menschen ganz intuitiv verstehen können, egal welche Sprache sie sprechen. Bilder sind universell und vielfältig, sie vermitteln ein tiefes Verständnis von Geschichte.

Was bringt euch zum Weinen und was sind Momente der Freude?

Der Krieg verändert unsere Emotionen und unsere Gefühle scheinen Achterbahn zu fahren, ständig auf und ab. Es gibt unzählige Gründe zum Weinen. Wir weinen wegen der Tode unserer Landsleute, wegen des unvorstellbar großen Schmerzes, den wir empfinden. Wir weinen wegen der zerstörten Städte. Wegen Mariupol…
Aber die einfachsten Dinge bereiten uns Freude. Wir sind glücklich, wenn wir sehen, wie der Frühling trotz des Krieges Einzug hält. Wenn wir das neue Buch des Verlags lesen, der aufgrund des Krieges die Produktion stoppen musste, aber jetzt wieder arbeitet. Wenn wir die Nachricht bekommen: „Mir geht es gut“.

Wie erholt ihr euch, um stark zu bleiben?

Das Wichtigste ist guter Schlaf. Aber wegen der konstanten Angst ist es wirklich schwer zu schlafen. Gehen und tief Atmen helfen auch. Ganz leichte Dinge.
Und der wirklich effektivste Weg, um stark zu bleiben, ist, gute Bücher oder Interviews über Kriege im 20. Jahrhundert zu lesen. Es gibt so viele inspirierende Menschen, die stark geblieben sind, überlebt haben und ihr Leben aufgebaut haben.

Welche Unterstützung wünscht ihr euch von uns?

Wir möchten uns für all die Unterstützung der ukrainischen Menschen bedanken. Jede Initiative, jeder Schritt, jeder Gedanke, jedes Wort zählt. Es hilft uns, stark zu bleiben, wir merken, dass wir nicht allein sind, dass Menschen in anderen Ländern verstehen, wie wichtig dieser Krieg ist und wie er die Welt, die wir kannten, zu zerbrechen droht. Wir bitten euch, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, Informationen in euren Communities zu verbreiten und Veränderungen, Entwicklungen und Tendenzen im Blick zu behalten.

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Das Leben ist schön in Rondo. Die Luft ist kristallklar, überall blühen Blumen, einige singen sogar! Die drei Freunde Danko, Zirka und Fabian möchten nirgendwo anders sein. Doch plötzlich...

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Romana Romanyschyn

Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw, beide 1984 geboren, leben und arbeiten in Lwiw. Nach ihrem Studium an der Nationalen Akademie der Künste gründeten sie das Studio Agrafka und arbeiten seitdem als Autoren, Designer und Illustratoren. Zusammen haben sie zahlreiche Bücher für Kinder und Erwachsene geschrieben, illustriert und gestaltet. International erfolgreich sind ihre Bücher in 22 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Bologna Ragazzi Award 2018.

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