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Interview mit Mohana van den Kroonenberg

Mohana van den Kroonenbergs Kinderbuch „Dodo“ ist eine sehr persönliche Geschichte. Wir haben die niederländische Autorin zu ihrem Buch befragt.

Inwiefern ist Dodo nicht nur ein fiktionales Buch, sondern auch eine persönliche Geschichte …?

Ich war ein extrem schüchternes Kind. So ängstlich, dass meine Mutter Bedenken hatte, mich in den Kindergarten zu geben. Sie ließ sich etwas einfallen: Ich durfte einen Jahrgang überspringen und kam in die Gruppe meiner älteren Schwester. Wenn jemand mit mir sprach, antwortete meine Schwester. Sie war mein Sprachrohr. Als meine Schwester im folgenden Jahr auf die Grundschule wechselte und ich im Kindergarten zurückblieb, hörte ich aus Angst auf zu sprechen. Als ich später selbst in die Grundschule kam und nicht mehr schweigen konnte, begann ich zu stottern.

Cover "Dodo"

Dorians Kampf mit den Worten entspringt direkt aus meinem eigenen Leben. Aber die Entscheidungen, die er trifft, unterscheiden sich von meinen. Nur der Ursprung von Dodo ist ein Teil von mir, der Rest ist Fantasie. Es ist, wie es ist! Das, was Dorian am Ende des Buches begreift, wurde mir erst klar, als Dodo veröffentlicht wurde.

Das Stottern ist ein zentrales Thema, es wird aber nicht gleich klar benannt. Warum?

Als Kind habe ich alles getan, um mein Stottern geheim zu halten. In einem Restaurant habe ich nicht das gegessen, was ich mochte, sondern das, was ich sagen konnte. Wenn jemand nach meinem Alter fragte und das “a” von “acht” zu schwierig war, versuchte ich einfach, sieben oder neun zu sagen. Und wenn das auch nicht klappte, dann eben sechs oder zehn. Dass das ein bisschen seltsam war, war für mich vollkommen zweitrangig. Wichtig war nur, mein Geheimnis zu bewahren.

In Dodo tut Dorian sein Möglichstes, um zu verbergen, dass das Sprechen für ihn ein Problem ist. Er will nicht darüber reden. Daher werde auch ich nicht darüber reden. Wenn meine Hauptfigur mit solcher Kraft beschließt, über etwas zu schweigen, dann werde ich ihm als Autorin seine Zeit geben und sein Geheimnis nicht preisgeben. Dadurch, dass das Stottern nicht beim Namen genannt wird, kommen sich Inhalt und Form in diesem Buch sehr nahe. Für Dorian geht es in dieser Geschichte um etwas, das nicht da sein sollte, also sprechen wir nicht darüber, obwohl es da ist und alles bestimmt.

Dorian glaubt, er müsse sein Geheimnis bewahren, um sich zu schützen. Warum funktioniert es so nicht?

Dorian denkt, dass er wegen seines Stotterns keine Freunde finden kann. Das ist natürlich ein sehr erschreckender Gedanke, besonders wenn man zwölf Jahre alt ist. Er fürchtet, nicht gemocht zu werden, nicht lustig oder cool zu sein. Das Stottern passt nicht zu dem Bild, das er von jemandem hat, der angesehen ist, jemand, der dazugehört.

Aber es ist immer schwer, ein Geheimnis zu haben. Es ist niemals leicht oder angenehm. Dorian hat nun zwei Probleme. Er stottert und er muss ein Geheimnis bewahren. Etwas zu verheimlichen, das kein Geheimnis sein sollte, ist keine Lösung für irgendetwas. Mein Plädoyer ist Offenheit: Sprich darüber, zeige es! Ob es dir gefällt oder nicht, es gibt keinen anderen Weg. Mach es klein und geh damit um. Erkenne, dass du nicht der Einzige bist, dass jedes Kind Probleme hat, auch wenn sie nicht gleich sichtbar sind.

Inwiefern hilft der Dodo Dorian, mit seinem Problem zurechtzukommen und warum muss er sich am Ende trotzdem von ihm trennen?

Als Dorian sich in sein Zimmer zurückzieht und sich der Außenwelt verschließt, wird er von dem Dodo begleitet. Er hat einen Freund – seinen einzigen, so denkt er. Außerdem kann Dorian den Dodo so erschaffen, wie er will, schließlich ist Dodo sein Alter Ego.

Am Anfang läuft es perfekt. Dodo ist süß, klein, witzig, treu und er schaut wirklich zu Dorian auf. Jedes Mal, wenn Dorian von einem anstrengenden, langen Schultag nach Hause kommt, ist Dodo da und wartet freudig auf ihn. Dorian stottert nicht in seinem Zimmer, das er in Mauritius verwandelt hat. Dodo weiß überhaupt nicht, was Stottern ist. Das Geheimnis gibt es aber immer noch.

Illustration Dodo

Im Grund ist Dodo das greifbare Geheimnis geworden. Keiner darf ihn sehen. Und genau deshalb kommt es zu einem Streit. Dodo rebelliert. Das Geheimnis selbst will nicht länger ein Geheimnis sein. Mit einem Mal weiß Dorian sehr genau, dass er sich selbst etwas vormacht. Um in die menschliche Welt zurückkehren zu können, muss Dorian sich von seiner Fantasiewelt verabschieden.

Wie hast du selbst das Stottern überwunden?

Stottern zu überwinden, ist ein große Herausforderung. Ich habe sicherlich bis weit in meine Zwanziger hinein gebraucht, bis ich in schwierigen Situationen einigermaßen flüssig sprechen konnte. Als Kind bekam ich in der Schule viel Sprachtherapie, die sich immer auf das Sprechen selbst konzentrierte: auf die Technik, auf die Atmung. Das machte mich manchmal wahnsinnig. Denn zu Hause, wenn ich allein war, konnte ich meistens problemlos sprechen. Ich glaubte nicht daran, dass es an der Technik lag. Aber ich verstand auch nicht, woher es kam.

Als ich studierte, hatte ich einen Freund, der auch stotterte, aber es war ihm völlig egal. Er war Regisseur und sprach zum Publikum, ohne dass es ihm peinlich war.  „Liebes Pub…“. Dann schwieg er lange, bis es ihm schließlich gelang, „likum‘ zu sagen. Er bekam großen Applaus, den er mit einem Lächeln entgegennahm. Was für ein Beispiel! Ich verstand, dass mit meiner Einstellung etwas nicht stimmte. Meine Versuche, geheim zu halten, was (meiner Meinung nach) geheim bleiben musste, waren anstrengend und erfolglos.

Mohana van den Kroonenberg

Ich habe viel mit ihm geübt, auf alle möglichen Arten, an allen möglichen Orten, und dieses Üben war so lustig, so fröhlich, selbst wenn alles schief ging und ich fast erstickte, mussten wir kichern. Völlig neu für mich. Annehmen ist ein großes Wort. Aber das Stottern nicht mehr zu leugnen, war ein großer Augenöffner für mich. In manchen Situationen tritt das Stottern noch auf, aber es stört mich kaum noch.

Das Interview führte Katrin Schaper

Buchtipp

Thomas M. Müller

Dodo

„Do…do…“ Weiter kommt Dorian nicht, als er sich in der neuen Klasse vorstellen soll. Alle lachen, selbst sein bester Freund Ramses. Dorian beschließt, nie wieder zu sprechen. Er sagt selbst...

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Mohana van den Kroonenberg

Mohana van den Kroonenberg studierte zunächst Biomedizintechnik in Twente, besuchte abends Schreibwerkstätten und studierte dann Malerei und Bildhauerei in Den Haag. Heute arbeitet sie als Bildhauerin und Autorin und schreibt für Erwachsene und Kinder. Sie lebt mit ihren Freunden und Kindern in Den Haag. Dodo ist ihr Debüt als Kinderbuchautorin.

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Mohana van den Kroonenberg

Mohana van den Kroonenberg studierte zunächst Biomedizintechnik in Twente, besuchte abends Schreibwerkstätten und studierte dann Malerei und Bildhauerei in Den Haag. Heute arbeitet sie als Bildhauerin und Autorin und schreibt für Erwachsene und Kinder. Sie lebt mit ihren Freunden und Kindern in Den Haag. Dodo ist ihr Debüt als Kinderbuchautorin.

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